Hans Börlin war Zeichnungslehrer an der KZO.
Über 30 Jahre lang hat er die Arbeiten seiner Schüler benoten müssen. Daher ist es interessant, wie Herr
Börlin Kunstwerke bewertet. Er stellt sich jeweils den Entstehungsprozess vor, den er bei seinen Schülern
gut beobachten konnte. Zuerst überwiegt das Spielerische, das bei allen ähnlich aussieht. Bei Arbeiten
dieser Phase bekommt der Betrachter rasch das Gefühl, dass er das auch kann.
Im Laufe des Spiels entdeckt man Variationen, die das Werk bereichern und verbessern. Erst jetzt entsteht
Kunst, die man nicht so leicht nachahmen kann. Bewertet wird nicht nur die künstlerische Aussage, sondern
ebenso die handwerkliche Ausführung.
Fuchs: 2012. Dies war eines der letzten Bilder von Hans Börlin ( er ist 2013 mit 98 Jahren gestorben). Er erzählte mir, dass er noch andere ähnliche Bilder für eine Pension gemacht hat. Dort findet das Sujet grossen Gefallen, weil die Gästezimmer in der Nähe eines Waldrandes liegen.
Mit Sicherheit symbolisiert das Bild Herrn Börlins Botschaft: sei gut gelaunt, wach, freundlich, gutmütig, zufrieden, und auch ein bisschen schlau.
Sehr wahrscheinlich ist die Zeichnung auch eine Anspielung auf den Fuchs aus "Le Petit Prince" (Antoine de Saint-Exupéry) und dessen Lebensweisheit: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
Dieser Rat ist in der heutigen Welt des Konsumismus aktueller denn je.
Die Insekten sind von entomologischen Tafeln abgezeichnet. Dabei hat Herr Börlin den Linien der Flügelfelder etc. einen neuen Rhythmus gegeben.
s/w-Zeichnung eingescannt. Bleistift- und Farbstiftzeichnung, Flachbettscanner, am PC gespiegelt.
Foto von Naturspektrum.de
Schwebefliegen sind harmlos, sehen aber aus wie Wespen. Die Mimikry ist eine schlaue Tarnung.
Papilio machaon: Schwalbenschwanz
Hier ist eine wissenschaftliche Zeichnung zum Vergleich. Ihr fehlen Eleganz, Rhythmus und Schwung, und daher wirkt der Schmetterling plump, was er gewiss nicht ist:
Inachis io: Tagpfauenauge
Auch bei diesem und bei den folgenden Bildern ist die visuelle Eleganz der Schmetterlinge künstlerisch verstärkt.
Tagpfauenaugen im Wald:
Das obige Bild auf eine Waldkulisse kopiert
Vanessa cardui: Distelfalter
Apatura iris: Grosser Schillerfalter
Parnassus apollo: Roter Apollo
Aglais urticae: Kleiner Fuchs (Nesselfalter)
Saturnia pyri: Grosses Nachtpfauenauge (Wiener Nachtpfauenauge)
Tag- und Nachtfalter:
Im Gegensatz zu allen oberen Schmetterlingen hat dieser keine verdickten Fühlerspitzen und ist also kein Tagfalter,
sondern ein Nachtfalter mit faden- oder fächerförmigen Fühlern.
Herr Börlin hat gewiss über hundert derartige Zeichnungen gemacht. Sie verbildlichen Satzwendungen, die während Lehrersitzungen oder auf dem Pausenplatz usw. benützt worden sind. Angesichts dieser Zeichnungen merkt man deutlich, dass laufend neue Sprachblüten entstehen und andere wieder in Vergessenheit geraten.
Wie sehen denn diese beiden Kerle aus! Was haben sie wohl nur erlebt!
Die zwei Kerle da sprechen hinter ihrem Rücken schlecht voneinander...
Miteinander geht es besser !
Ich sehe in den Mäusezeichnungen vor allem eine Verbildlichung der Sozialisierung. Sie ist ein sehr wichtiger Entwicklungsschritt der Schüler, mit dem alle Lehrer ständig konfrontiert werden.
Die Sozialisierung schweisst junge Menschen zu einer Gruppe zusammen, und zwar auf eine so tiefgreifende Weise, dass der Einzelne nicht mehr nur einfach seinen freien Willen hat, sondern immer nur im Takt der Kollegen (und der Gesellschaft) tanzen kann, viel mehr, als ihm bewusst ist und als er denkt. Jeder fühlt, denkt und entscheidet so, wie es seine Gruppe vorgibt.
Dies ist ein grundlegendes Problem der heutigen Globalisierung, bei der bereits sozialisierte Menschen aus verschiedenen Kulturen aufeinander treffen, und jeder hält seine Denkweise für die einzig richtige und normale.