Die Theorie zu den reizarmen Techniken ist hier.
Ohne Medikamente, Lachgas, Hypnose und Narkose?
Diese Mittel erschweren reizarme Behandlungen.
Sie werden passiv und hilflos und können nicht melden, wenn etwas stört.
Und Sie können nicht lernen, dass man reizarme Zahnbehandlungen sogar ohne Spritze gut ertragen kann.
Wenn die Karies entfernt ist und das Gesunde an der Oberfläche erscheint, ist der Zahn manchmal empfindlich auf kalte Luft. Statt in das ausgebohrte Loch hinein zu blasen, kann man es mit kleinen Wattekügelchen oder Microstick abtrocknen. Den Luftstrom der Motorkühlung kann man am Winkelstück abkleben. Und bei minimaler Drehzahl und Anpresskraft darf man ohne Wasser (keine Erhitzungsgefahr) exkavieren. Die trockenen Späne fliegen dann vom Wind des drehenden Rosenbohrers weg.
Tiefe Löcher sind schwierig zu reparieren. Ein Grund besteht darin, dass am restlichen Zahn keine Matrizen befestigt werden können. Abhilfe schaffen Minimatrizen, die am Nachbarzahn angeklebt werden. Die Minimatrize hält ohne Keil, der das Zahnfleisch niederdrückt, und ohne Matrizenhalter, der es einklemmt.
Wenn ein Zahn schwierig zu extrahieren ist, weil er nicht mit der Zange gefasst werden kann, dann wird oft
eine Aufklappung gemacht und der Knochen rund um den Zahn weggebohrt (Ostektomie). Zuletzt muss man die Wunde zunähen.
Statt eine Ostektomie kann man mit dem Bohrer auch die Wurzel verkleinern. Dann wird sie nälich locker
und kann ohne Ostektomie entfernt werden.
Wird das Ende der Sitzung maximal reizarm durchgeführt, so entsteht bei der Patientin eine gute Erinnerung an die ganze Sitzung Auf die Länge der Sitzung kommt es weniger darauf an. Bis die Angst generell etwas abnimmt, braucht es mehrere gut gelungene Sitzungen. Die wissenschaftliche Grundlage des Effektes ist zum Beispiel im Buch "schnelles und langsames Denken" von Daniel Kahneman beschrieben.
24-jähriger Patient (05.04.2013 / 6236)
60-jährige Patientin (27.01.2016 / 2172)
links oben:
Das Röntgenbild zeigt eine tiefe Karies im Weisheitszahn -8. Er schmerzt beim Essen.
rechts:
Als ich den -8 mit der Zange lockern wollte, ist die Krone wegen der Karies nach kurzer Zeit abgebrochen. Die verbliebene Wurzel war nicht mehr mit der Zahn zu greifen. Oft wird nun das Zahnfleisch aufgeschnitten (Lappenbildung) und der Knochen rund um die Wurzel weggebohrt (Ostektomie), damit sie wieder mit einer Zange ergriffen werden kann. Zuletzt wird der Lappen mit einer Naht reponiert.
Bei (meiner) reizarmen Methode wird die Wurzel mit einem langen Bohrer in zwei Hälften geteilt. Dann wird eine Hälfte
der Wurzel herausgebrochen (im Bild ist es die Wurzelhälfte rechts). Und dann ist sofort auch die andere Hälfte ganz einfach zu lockern und zu entfernen. Bei dieser Methode ist die Wunde gleich wie bei einer gewöhnlichen Extraktion.
links unten:
Zuletzt war der -8 in sechs Stücke zerbrochen und zerteilt. Die krumme Wurzelspitze war
mit ein Grund, dass die Krone abgebrochen ist. Auf dem Röntgenbild war sie nicht zu sehen.
Wenn ein Patient (meist ein Kind) nicht ins Behandlungszimmer möchte und schon im Wartezimmer Angst vor dem Zahnarzt hat, dann ist es am einfachsten,
wenn sich der Zahnarzt zurückzieht und gar nicht zeigt. Dann verschwindet die Angst sofort. In einem solchen Fall ist es besser, wenn eine Dentalassistentin mit dem Patienten spricht.
Für manchen Angstpatienten ist sie sogar glaubwürdiger als ein Zahnarzt!
Sie kann zum Beispiel zeigen, wie man einen Problemzahn mit einer Spezialzahnbürste so pflegt, dass er nicht mehr schmerzt.
Sie kann auch für alle anderen Fragen und Befürchtungen Red und Antwort stehen (siehe
Entwarnung)
Die Technik des Rückzuges basiert auf dem Prinzip "aus den Augen, aus dem Sinn"
Das kalte Stirntuch wirkt sofort und hat die wunderbare Wirkung, dass es beruhigt und die Angst dämpft.
Wir benutzen es immer bei einer Spritze, wenn jemand Angst davor hat. Der Effekt wird von über 90% der Patienten als positiv wahrgenommen.
Wichtig: Aus Scham wollen die meisten Erwachsenen ihre Angst nicht wahrhaben. Nicht selten wehren sie das Stirntuch ab mit Worten im Sinne von:
"Ist das gegen die Angst? Das brauche ich nicht, ich hab keine Angst". Die beste Antwort ist dann:
"Nein, das ist nicht gegen die Angst, das ist nur für das Wohlgefühl."
Die wissenschaftlichen Grundlagen des Effektes sind der human dive reflex (Puls und Blutdruck sinken ab, um Sauerstoff zu sparen)
und die Kühlung des Gehirns (das bei Angst viel Zucker verbrennt).
Die Wärme wirkt sofort, so dass ein angenehmes Gefühl entsteht. Kalte Hände (und Füsse) sind bekannte Zeichen der Angst. Noch gefährlichere Zeichen sind schweissige Hände (und feuchtes Gesicht, warm oder kalt). Sie deuten auf einen baldigen Kollaps. Die warme Flasche wird meistens mit beiden Händen ziemlich kräftig festgehalten. Die Handflächen vermitteln dem Bewusstseint das Gefühl der Wärme mit grosser Aufdringlichkeit. Daraus resultiert eine starke Ablenkung von den angstauslösenden Befürchtungen.
Frau Witzgall hat die warme Flasche bei ihren eigenen Kindern verwendet.
Plötzlich ist ihr die Anwendbarkeit beim Zahnarzt in den Sinn gekommen,
als ich bei einer Patientin ganz kalte Hände bemerkte.
Manche Angstpatienten (vor allem Männer) lehnen die warme Flasche zunächst ab mit einer Bemerkung wie "Wofür ist das? Das brauche ich nicht."
Wenn man dann sagt, dass die Flasche zum Wellness-Programm der Praxis gehört, akzeptieren sie sie.
Interessant ist auch die Reaktion der Hände auf die Flasche. Manchmal sind anfangs nur die Fingerspitzen kalt.
Mit einsetzender Entspannung verbreitet sich die Kälte auf die ganzen Finger und verschwindet erst eine Weile später.
Ein zuckerhaltiges Getränk verändert bei vielen ängstlichen Kindern (und auch bei einigen Erwachsenen) die Stimmung rasch und deutlich positiv.
Die wissenschaftliche Grundlage des Effektes ist der Blutzuckerspiegel, der bei Angst rasch absinkt.
Einige Patienten fühlen sich sehr unwohl, wenn die Rückenlehne zu flach ist oder die Beine nicht genug hochgelagert sind. Wie können die Lagerung gut verändern und trotzdem gut (mit Spiegeln) im Mund arbeiten.
Ein Bild sagt mehr als 1'000 Worte und lenkt deutlich vom Angstgefühl ab. Die meisten Angstpatienten sind sofort bereit, ihren Mund für eine Fotografie zu öffnen. Sie interessieren sich dann sehr für die Aufnahme, wenn sie gross am Bildschirm angezeigt und besprochen wird. Die wissenschaftliche Grundlage des Effektes ist das optische Gehirn. Es ist sehr gross, arbeitet prioritär und ist bevorzugt mit dem Sprachhirn verbunden. Das Betrachten eines einfachen Bildes lenkt also die Aufmerksamkeit und Aktivität des Gehirns vom Angstzentrum ab und aktiviert bewusste Denkvorgänge.
Viele Angstpatienten halten relativ einfache Zahnschäden für eine grosse Gefahr. Zähne sind jedoch sehr stabile und ausserordentlich gut geschützte Organe. Schlimme medizinische Erkrankungen wegen schlechten Zähnen gibt es praktisch nie! Der Grund zur Fehleinschätzung sind zum Beispiel angsteinflössende Bilder von seltenen Krankheiten oder entsprechende Andeutungen von Zahnärzten. Bei der Entwarnung geht es darum, solche übertriebenen Befürchtungen zu diskutieren und korrekte Informationen zu erklären. Das kann auch eine Dentalassistentin am Telefon machen!
Oft fällt uns auf, dass ein Patient schon zu Beginn der Behandlung ganz verkrampft den Mund öffnet, sein Atem stockt oder sich seine Hände verkrampfen. Dann machen wir ihn auf diese Dinge aufmerksam und helfen ihm, sich besser zu entspannen. Diese Verkrampfungen können sich im Laufe der Behandlung mehrmals wiederholen und erfordern dann eine Pause, damit der Patient sich wieder entspannen kann.
Damit ein Patient wieder die Selbstkontrolle erlangt, muss er sich in einer Arbeitspause frei bewegen können. Dazu reicht ganz einfach ein Behandlungsunterbruch, bei dem sich der Patient zum Beispiel den Mund spülen kann. Damit ein Zahnarzt mehrere solche Pausen offerieren kann, muss er lernen, auch ohne fest im Munde installierte Hilfsmittel (wie Kofferdam) zu arbeiten. Und selbstverständlich muss er jeden Arbeitsschritt ziemlich schmerzfrei verrichten können. Die Arbeitspausen sind zudem eine ideale Gelegenheit für intraorale Aufnahmen, die man jeweils sofort mit dem Patienten bespricht.
Immer wieder loben Patienten einen Spiegel, in dem sie der Behandlung zuschauen können.
Die Selbstkontrolle erlangt man am deutlichsten genau in dem Moment, wo man sich eine Antwort zu einer Frage überlegt. Wir stellen dem Patienten (auch dem Kind) während einer Behandlung mehrere Male die Frage, wie es ihm geht. Auch die Pausen nützen wir zu einem kurzen Dialog. So sind wir sicher, dass der Patient normal denken kann und die Angst im Griff hat.
Diese Techniken benötigen Zeit zum Sprechen und Nachdenken. Der Patient muss unbehindert reden und sich frei bewegen können. Diese Technik ist weniger wirksam, wenn der Patient eine Sprache spricht, die wir nicht verstehen.
Der kleine Spiegel mitten in der OP-Lampe wird von manchen Patienten lobend erwähnt.
Man beginnt mit einem Arbeitsschritt von 1 Sekunde Dauer. Der Zahnarzt kündigt diesen an: "jetzt halten wir das kleine Absaugrohr
an den Zahn, aber nur eine Sekunde lang, um zu schauen, ob das gut geht". Dann kommt der Bohrer. Sein Geräusch wird zuerst vorgeführt,
dann eine Sekunde lang im Mund demonstriert: "Nun halte ich den Bohrer in den Mund, nur eine Sekunde lang und ohne den Zahn zu berühren.
Er windet ein bisschen." Beim nächsten Schritt: "nun berühre ich den Zahn ein bisschen, das tut nicht weh, aber kitzelt
etwas." Jeder Schritt endet nach einer Sekunde mit einer Pause, in der
die Patientin spülen, aufsitzen, auf die Toilette gehen kann.
So kann sie die Selbstkontrolle behalten.
Beim Wechsel von der Schmelzpräparation (hochtouriger Diamant)
auf die Dentinpräparation (langsamtouriger Rosenbohrer) beginnt man wieder mit einer Sekunde.
Ein ängstlicher Elternteil soll behandelt werden und bringt sein Kind mit, damit es sich an die Praxis gewöhnen kann. Es besteht der Verdacht, dass der Elternteil denkt, durch die Anwesenheit seines Kindes könne und müsse er mehr Mut zeigen.
Das Kind mitzubringen ist bei Angstpatienten keine gute Idee, weil das Kind merkt, dass sein Vater resp. seine Mutter Angst hat. Statt sich an die Praxis zu gewöhnen lernt das Kind, dass man in einer Praxis Angst hat.