Die Angst vor der Spritze ist verständlich: fast jede Spritze schmerzt und ist ein kleines Risiko, dass
die Nadel ein Blutgefäss oder einen Nerv verletzt.
Früher hiess es, Füllungen mit Spritze hielten länger als Füllungen ohne.
Logisch, weil man mit Spritze ruhiger herhalten kann.
Neuerdings heisst es, man solle nicht ganz alle Karies ausbohren*.
Auch logisch, weil Kompositfüllungen wasserdicht sind und die Bakterien darunter hungern und austrocknen.
Das ist eine sehr gute Nachricht. Allerdings dauert wegen der vorsichtigen Arbeitsweise ohne Spritze die Sitzung etwas länger, dafür bleibt etwas mehr vom Zahn erhalten. Man muss nicht mehr so tief bohren. Ich mache unterdessen bei den meisten Füllungen keine Spritze mehr. Weil das vorsichtige Bohren tatsächlich fast nicht mehr weh tut. Siehe unten.
56-jährige Patientin (09.05.2016 / 6924)
Beim Einstich zum Unterkiefernerv (N. alv. inf.) entstand sofort ein zuckender Schmerz in der linken Unterlippe. Die Nadel wurde etwas zurügezogen und die Injektion erfolgte langsam einige Millimeter weiter hinten.
Die Unterlippe schlief auf der linken Seite innert wenigen Sekunden ganz ein. Auch nach 2 Stunden war sie noch völlig taub.
Die Patientin meldete sich wieder zwei Monate später. Die Lippe fühlte sich unterdessen wieder normal an. Jedoch klagte sie über gelegentliche Schmerzen im linken Ohr und über ein Gefühl von hängender Haut links bei der Nase. Ob da ein Zusammenhang mit dem Unterkiefernerv besteht?
56-jährige Patientin (10.03.2016 / 6924)
14-jähriger Patient (12.11.2014 / 4776)
oben links: Das Loch, das den Jungen störte.
oben rechts: Nach der Eröffnung des Schmelzes zeigt sich eine Karies mittlerer Tiefe.
unten links: Nach 7 Minuten ist das Loch fertig ausgebohrt.
unten rechts: Nach weiteren 14 Minuten ist die Füllung fertig. Beachten Sie den Füllungsrand: er ist dicht und praktisch unsichtbar. Das wird in den nächsten 20 Jahren so bleiben (siehe hier) und vermutlich auch noch nach 30 Jahren so sein.
Um herauszufinden, ob Sie eine Spritze brauchen oder nicht, machen wir diese Probeserie:
Dann ist die Probeserie fertig und geht wahrscheinlich alles gut ohne Spritze bis gegen das Ende hin, wo der Bohrer ganz sanft erstmals gesundes Dentin berührt. In diesem Moment müssen Sie die Hand anheben, sich bewegen, stöhnen oder irgend etwas machen, damit wir es sicher merken, weil dann ist die Stelle, wo es geschmerzt hat, schon gut, also sauber und hart. Mehr braucht es nicht. Es kommen nun noch einige solche kleine Schmerzen, bis alle Stellen sauber sind. Dann kommt die Füllung. Die macht nicht weh. Sie stehen auf, und nichts ist eingeschlafen, alles trotz Zahnarzt sofort wieder normal.
In wenigen Fällen macht die Probeserie weh. Dann ist es nicht gut möglich, ohne Spritze zu arbeiten. Dann wäre es gut, wenn wir eine Spritze machen könnten, mit dem kühlen Stirntuch, ganz fein, langsam und kaum spürbar. Wären Sie einverstanden?
In meiner Praxis wollen fast alle Patienten ohne Spritze bohren. Aber das war nicht schon immer so!
Die meisten Zahnärzte, auch an der Universität, bohren nicht gefühlvoll. "Nicht gefühlvoll" heisst, sie drücken den Bohrer kraftvoll (in den "Vorschriften" der Bohrerproduzenten ist von 500 Gramm die Rede) und mit hoher Drehzahl (empfohlen sind 20'000-40'000 rpm) auf den Zahn und stoppen nach einigen Sekunden, wenn sie einen festen Widerstand spüren. Meistens bohren sie dann nochmals ein paar Mal an dieser Stelle, um sicher zu sein, dass sie tatsächlich auf dem harten Dentin angekommen sind. Das Bohrergeräusch ist jedermann bekannt: ein hoher Sauseton.
Dieses hohe Sausen ist ein klassischer physiologischer Reiz, der die typische Angst vor dem Zahnarzt auslöst.
Er löst auch bei den Zahnärzten einen Stress aus, den sie aber nicht zu spüren vorgeben, der aber Ihr Denken und Fühlen negativ beeinflusst.
Vermeidet man den Ton, entsteht automatisch eine Angstverminderung. Das war ein Mitgrund, dass ich von den hohen Drehzahlen weggekommen bin.
Ein anderer Angstauslöser sind die Ausrutscher, wenn man den Bohrer mit hoher Kraft auf den Zahn drückt und dabei abrutscht. Obwohl das eigentlich absolut nie passieren dürfte, ist es kein Thema in der Zahnheilkunde. Vielmehr empfiehlt man, mit Handschuhen zu bohren, und weil sich sonst der Bohrer mit dem Handschuh verwickelt, kann man nur einhändig bohren. Nicht mal ein Auto darf man einhändig steuern. Also hiess das für mich: Kraft weg, Handschuhe weg, und den Bohrer mit beiden Händen führen. Endlich konnte ich so präzise und vorsichtig ohne Ausrutscher bohren, wie es sich logischerweise jeder Patient wünscht.
Wasser im Mund ist ein dritter Angstauslöser. Die niedrigen Drehzahlen erlauben ein Bohren ohne Wasserkühlung. Ohne Wasserkühlung hat man eine bessere Sicht. Und so bemerkte ich langsam beim Bohren die einzelnen histologischen Schichten der Karies, die Prof. Hubert E. Schroeder 1997 in seinem Buch "Pathobiologie oraler Strukturen" beschrieben hat. Er hat darin extra vermerkt, dass die verkalkte Zone schmerzfrei ist. Es scheint, dass er schon 1997 antönen wollte, dass es beim Bohren eigentlich keine Spritze braucht!
Karies ist totes Material und tut beim Bohren nicht weh. Sie hat vier Schichten (Details hier):
Beim Bohren kommt es also darauf an, dass man diese Schichten erkennt und bei den trockenen Spänen stoppt.
1. Kein Wasser: Damit man den Staub erkennt, darf man nicht mit Wasser bohren. Dabei darf man nur niedertourig bohren (800-3000 Umdrehungen pro Minute), sonst wird der Zahn heiss.
2. Kein Druck: Man darf beim Bohren über dem Nerv nur mit 0-5 Gramm bohren. Das sklerotische Dentin ist dort vielleicht nur etwa 0.5 mm dick und schimmert die Pulpa durch. Mit gewöhnlicher Kraft würde man es mit einem Streich ganz entfernen und das schmerzhafte, lebendige Dentin anbohren (und dabei die Odontoblasten verletzen).
3. Hohe Präzision Direkt über dem Nerv muss man besonders aufpassen, dass man nicht ausrutscht oder nicht zu stark drückt. Das geht nur, wenn man den Bohrer mit beiden Händen hält und sich dabei gut abstützt. Erstaunlicherweise sind so bei älteren Menschen sogar direkte Überkappungen ohne Spritze und routinemässig möglich.
Die verkalkte Schicht ist anfangs noch einkratzbar. Nach Entfernung von etwas Staub wird sie jedoch rasch kratz- und stichfest. Häufig ist sie da noch braun. Die Farbe ist kein Nachteil für die Dentinhaftung. Bei ihr kommt es nur auf die Oberflächenhärte drauf an.
26-jährige Patientin (10.11.2014 / 2676)
oben links: Das Loch vor der Behandlung.
oben Mitte: Eröffnung des Schmelzes (das kann nicht weh tun!).
oben rechts: Nun ist der Schmelz auf der ganzen Breite der Karies eröffnet.
unten links: Die Patientin hat jetzt den ersten kleinen Schmerz gespürt. Von jetzt an wird mit dem kleinsten Rosenbohrer weiter gearbeitet. Der mittelgrosse Rosenbohrer streift oft das gesunde Dentin (hell), wenn man das kranke Dentin (dunkel) ausbohren will und tut weh.
unten Mitte: Das Loch ist fertig ausgebohrt. Die dunklen Stellen sind gleich hart wie die hellen.
unten rechts: Nach weiteren 13 Minuten ist die Füllung fertig. Beachten Sie den Füllungsrand: er ist dicht und praktisch unsichtbar.
28-jähriger Patient (18.04.2016 / 1692)
1: Die Karies scheint weiss und braun durch.
2: Sie begann direkt beim roten Pfeil.
3: Das Dentin beim Pfeil ist weich wie Gallerte.
4: Die Gallerte schmerzt nicht beim Entfernen.
1: Das Dentin ist hart, aber der Schmelz hauchdünn.
2: Das Loch geht jetzt bis unters Zahnfleisch.
3: Das Zahnfleisch wurde mit dieser Matrize geschützt:
Damit die Matrize nicht einschneidet, wird sie mit der Schere verkleinert, sodass sie schön dem Zahnfleisch entlang verläuft.
4: Die fertige Füllung. Kein bisschen Blut ist zu sehen.