Die Realität ist so kompliziert, dass wir sie unmöglich ganz begreifen können. Ihre Komplexität und dauernde Weiterentwicklung überfordern uns. Unsere Aktivitäten zum Essen, zur Sicherheit (vor dem gefressen werden) und zur Familie (und Fortpflanzung) sind dank den Instinkten sehr erfolgreich. Aber alle weiteren Phänomene des Lebens müssen wir mit Worten beschreiben, die sehr oft in phantasievollen einfachen Geschichten enden. Diese beruhigen uns und zeigen uns Auswege, damit wir trotz der Unsicherheit handlungsunfähig bleiben.
Einstein meinte kurz und bündig: "Wir Menschen sind unendlich dumm". Das hat er nicht im Spass gesagt, und das gilt leider auch bei den glaubwürdigen und erfolgreichen Menschen mit ihrem geheimnisvollen Charisma und bei den Führungskräften in der Politik, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung usw.
Hier sind einige Beispiele aus der Zahnmedizin.
Die Natur ist unendlich kompliziert. Ihre physikalischen und biologischen Gesetze können wir zwar suchen und messen, aber wir wissen nicht einmal, ob wir in einem Universum oder in einem Multiversum leben. Gibt es Gott? Und welcher Professor kann schon wissen, ob sein Student ein guter Arzt wird oder nicht, wie Prof. U. Eiholzer in der NZZ angedeutet hat: "Haben wir die falschen Ärzte?" Und wer kann schon sagen, wie lange eine Füllung halten wird?
Das menschliche Gehirn ist etwa 1.2 Kg schwer und verbraucht etwa 500 Kalorien pro Tag.
Es umfasst mehrere hundert Billionen Synapsen, also etwa 300'000'000'000'000.
Es ist gesund, manchmal vielleicht überfordert, oder krank.
Seine Krankheiten sind weder sichtbar noch sondierbar, nicht messbar und fotografierbar,
und auch durch die Anamnese nicht so rasch abzuklären wie ein Zahnröntgenbild.
Das Gehirn kann die ganze Gesundheit verderben, wenn es zuviel Angst oder Stress erfährt.
Stressbedingte Zahnschmerzen nehmen zu. Sie verursachen kaltempfindliche Zähne,
Knirscherschmerzen, Wangenschmerzen, Migräne, Abnützungen der Zähne, Bisssenkungen,
Zahnfrakturen, Kiefergelenksknacken usw. Die Gründe sind viel komplizierter als jene von Karies.
Die systemische Psychologie sucht sie bei den Eltern und Geschwistern des Patienten,
bei seinen Grosseltern, seinen Jugendfreunden, Arbeitskollegen und in seinem ganzen sozio-kulturellen Hintergrund.
Und sie ist viel komplizierter als eine fluoridhaltige Zahnpasta, neue Zahnbürste, grosse
Füllung oder regelmässige Botox-Injektionen gegen Wangenschmerzen.
Schauen Sie, wie's der Schnecke gut geht! Sie hat nur ein Bauchgefühl und ein Mini-Gehirn, ist aber voller Zuversicht. Und sie scheint fast glücklicher als mancher Mensch!
Die Entwicklung der Wissenschaft ist rasant, und ihre Fachwörter gelangen rasch in die
allgemeine Kommunikation. Da fehlt aber den meisten Leuten einige Fachkenntnis. Deshalb bewirken
Fachwörter auch viele Missverständnisse und emotionale Zu- und Abneigungen.
Um 1900 waren etwa 50% der Erwachsenen zahnlos. Und heute sind Prothesenträger eine Seltenheit.
Wir verdanken dies den Fluoriden und den Schulzahnpflege-Instruktorinnen. Ohne Fluoride wäre
eine solche Verbesserung undenkbar, weil unsere Nahrung viel Zucker enthält.
Natriumfluorid in Zahnpasten
sowie die Trinkwasser-Fluoridierung nützen ebenfalls gegen die Karies.
Wichtig ist, dass die empfohlenen kleinen Mengen eingehalten werden und Zahnpasta
nicht verschluckt wird.
Eine Patientin lehnt die Elmex-Zahnpasta ab, weil sie nicht vegetarisch sei.
Karies hat viele Mitspieler: Olaflur und Fluoride im Elmex, Streptoccus mutans im Zahnbelag, die persönliche Zahnputz-Technik und die angeborene Speichelqualität, die mütterlichen Zahnputz-Anweisungen und die Schulzahnpflege, und nun auch der Veganismus. Aber sogar veganer Zucker ist 100% kariogen.
Olaflur gilt als "nicht-vegan", weil es aus Rindertalg hergestellt wird und Tiere nicht missbraucht werden sollen. Aber mit Talg werden schon seit der Antike Seifen und Salben hergestellt. Talg ist ein Musterbeispiel für das Recycling von biologischen Stoffen und für den Austausch der Chemikalien zwischen Bakterien, Pflanzen und Tieren. Wir sollten diesen Austausch bewundern, bewahren und wertschätzen und nicht verurteilen oder verhindern.
NaF und andere Fluoride sind im Trinkwasser in vulkanischen Regionen höher konzentriert als in anderen Regionen. So hat man herausgefunden, weshalb die Menschen in der Nähe von Vulkanen weniger Karies bekommen als die anderen. Bei zu viel Fluor im Trinkwasser bekommen sie aber eine Zahnfluorose mit dunklem Zahnschmelz.
Die Industrie verwendet in ihrer Werbung raffinierte psychologische Tricks. Ein Beispiel ist das "Priming", das die Menschen lenkt, ohne dass sie es bemerken und durchschauen können. Das Wort "Minamata" ist ein Beispiel für das Priming gegen Quecksilber. Es bewirkt eine grosse Abscheu gegen Quecksilber, so dass die Teilnehmer der Minamata-Konferenz Amalgamfüllungen gleich verurteilen wie Kohlekraftwerke. Aber Amalgamfüllungen belasten die Natur 1000-mal weniger als Kohlekraftwerke. Dies sehr zur Freude von der Ivoclar Vivadent AG, welche jetzt einen neuen Kunststoff als Amalgamersatz verkaufen kann.
Minamata-Krankheit: Um 1950 vergiftete ein Chemiekonzern mit Hg-haltigem Abwasser die Fische im Meer vor Minamata. Hg ist aber ziemlich giftig. Deshalb wurden in der Folge etwa 3000 Bewohner von Minamata krank. Seither sind etwa 1500 gestorben, bloss weil sie täglich Fisch essen.
Minamata-Konvention: 2013 versprachen die EU und 90 Staaten, die Emission von Quecksilber
zu verbieten. Weltweit gesehen emittieren die Goldschürfung und industrielle Goldgewinnung
gut 40% allen Quecksilbers.
In Deutschland emittieren gemäss der
Quecksilber-Studie 2016 (Sobolewski) die
• Kohlekraftwerke 4000 Kg Quecksilber pro Jahr, die
• Müllverbrennungsanlagen 210 Kg (Haushaltsabfälle), und die
• Krematorien 40 Kg (zahnärztliches Quecksilber).
Fünfte Minamata-Konferenz: 2023 fand in Genf die COP-5 der Minamata-Parteien statt. Es wurden u.a. neue Kontroll- und Messverfahren diskutiert. Sie betreffen auch und sogar die Hersteller der Thermometer, Barometer, Quecksilberdampflampen, Batterien, Farbstoffe, Amalgam, Impfstoffe, Kathoden-Material usw.
Gamma-2-freies Amalgam: Dieses Amalgam wurde um 1990 entwickelt und ist korrosionsfrei, also viel weniger schädlich. Die Angst vor Quecksilber ist jedoch so gross geworden, dass es verboten wird, obwohl die Zahl der Amalgamfüllungen dank der Fluorid-Prophylaxe drastisch abgenommen hat.
15 Minuten pro Füllung, egal wie gross: Eine Amalgamfüllung zu legen dauert nur etwa 15 Minuten. Weshalb nur 15 Minuten?
Cention N: Dieses neuste Alkasite von Ivoclar Vivadent AG ist selbsthärtend und soll so einfach verarbeitbar sein wie Amalgam. 2023 wurden in Indien bei hundert Kindern einjährige Alkasite-N-Füllungen nachkontrolliert. Sie haben eine ähnliche Bewertung wie Komposit erhalten.
Amalgamverbot 1.1.2025: In Österreich soll ab dem 1.1.2025 Cention Forte von Ivoclar Vivadent AG das Amalgam ersetzen. Es gibt jedoch keine langfristigen Erfahrungen mit diesem Material. Die Kassen-Zahnärzte sind nicht begeistert.
Die Meere enthalten 290'000 Tonnen Hg.
Das meiste stammt von den industriellen Prozessen und fossilen Brennstoffen der letzten 50 Jahre.
Die Vulkane verdampfen 10-20 Tonnen/Jahr.
Der Permafrostboden besitzt die grösste Quecksilberreserve der Erde.
Wenn er schmilzt, wird die natürliche Quecksilberkontamination
generell grösser, vielleicht sogar um mehr als 10-20 Tonnen/Jahr.
Das europäische Parlament möchte ein quecksilberfreies Europa und beschloss deshalb 2018 ein Amalgamverbot per 1.1.2025. Weltweit werden jährlich 40 Tonnen Quecksilber für Amalgam verwendet.
Silberamalgam wurde schon im 7. Jahrhundert n. Chr. in China verwendet. Amalgamfüllungen sind sehr einfach und rasch anzufertigen. Das Quecksilber wehrt die Kariesbakterien so gut ab, dass auch unperfekte Amalgamfüllungen meist eine Lebensdauer von drei bis vier und mehr Jahrzehnten haben. Zudem sind sie so billig, dass viele Länder sie durch öffentliche Gelder erstatten können.
Komposit ist im Gegensatz zu Amalgam biokompatibel, und Bakterien unter Kompositfüllungen können sich gut vermehren. Nur moderne, sorgfältig ausgeführte Klebemethoden, eine genaue Einhaltung der verschiedenen Einwirkungszeiten und eine sorgfältige Modellation können bewirken, dass Komposit gleich lange hält wie Amalgam, aber ohne dessen unerwünschten Nebenwirkungen.
Alkasite ist ähnlich wie Komposit, gibt aber in einem alkalischen Milieu (pH 9-14) Calzium- und Fluorid-Ionen ab. Karies entsteht wegen der Milchsäure bei einem pH unter 5. Es soll das Amalgam ersetzen.
Notrecht ab 1.1.2025? Die österreichischen Kassen-Zahnärzte wehren sich, weil die bisherigen Kassenleistungen für Amalgam nicht für sorgfältig hergestellte Alkasite-Füllungen reichen. Es beginnt eine spannende Zeit in der Zahnmedizin, die vielleicht zu unerwünschten sozioökonomischen und zahngesundheitlichen Erscheinungen und sogar zu mehr Prothetik in Österreich führen wird. Und das 75 Jahre nach Minamata in Japan...
Ein anderes Beispiel der Anwendung moderner psychologischer Beeinflussung ist diese Reklame für ein neues Zahnimplantat. Reime erleichtern dem Gehirn, sich an etwas zu erinnern. Und das tut es sogar gegen unseren Willen, also auch, wenn man das nicht will.
Die Überforderung liegt jetzt beim Zahnarzt. Er sollte trotz solchen Einflüssen eine ethisch vertretbare Haltung einnehmen und seine Fähigkeiten verbessern, zahntechnisch minimalinvasiv zu therapieren.
Die Indikation für ein Zahnimplantat wird immer mehr von der Werbung beeinflusst und immer weniger von einer kaufunktionellen Notwendikgeit. Auf diese Weise mischen sich immer mehr nicht-medizinische Akteure in die Zahnheilkunde und via Zeitungsannoncen direkt an die Patienten. Sie organisieren Fortbildungskurse und beschenken zahnmedizinische Fakultäten mit Implantaten für die Studenten. Es gibt bereits Kollegen, die sagen, ein Implantat sei gesünder als ein Zahn.
Allerdings können Zahnimplantate jetzt sogar Zähne ersetzen, die wegen Parodontitis gezogen werden müssen. Das hat man um 2000 noch für undenkbar gehalten. Die Zahnmedizin versteht die chemischen Prozesse im Körper immer besser und verwendet mehr Zahnimplantate denn je. Ist es noch eine "Zahnheilkunde", oder bald nur noch eine Implantiertechnologie?
Ausschliesslich für die Unfall- und Militärversicherung wurde per 1.1.2025 ein neuer Zahnarzttarif namens "LP+" vorbereitet. Er enthält Leistungspakete, die mehrere Tarifpositionen des normalen Tarifs zusammenfassen. Die Zeitersparnis bestehe darin, dass man für eine Behandlung nur noch eine Tarifnummer des LP+ anklicken müsse und nicht etwa fünf des normalen Dentotar-Tarifes.
Die Überforderung liegt jetzt bei den Tarifvätern und Versicherungen, Softwarehäusern und Zahnärzten, und vielleicht sogar bei einzelnen Juristen. Niemand weiss, was der LP+ für Konsequenzen haben wird, weder bei den Programmierern noch in all den Datenbanken der beteiligten Versicherungen, Datenübermittlern, Datenschutz-Prüfern und Behandlern. Die Arbeitserleichterungen sind also anfangs sicher unmöglich. Für die zu erwartenden Anfragen haben einige Versicherungen bereits eine neue Abteilung namens «Stellungnahme» eingerichtet. Woraus besteht sie? Sie besteht aus einer KI-unterstützten Internet-Adresse...
Es ist sogar so, dass keine einzige Sitzung zwischen den Softwarehäusern und der Tarifkommission einberufen worden ist. Erst ein Monat vor der Inkraftsetzung wurde erkenntlich, dass die Tarifpositionen des Dentotar im Gebrauch mit dem LP+ andere Kurztexte bekommen. Und zwar solche für die Patienten und andere für die Versicherungen. Aber vielleicht werden bald alle Fragen geklärt und entsteht die erhoffte Zeitersparnis. Und was ist wohl das wahre Motiv für den LP+?