Der Abwehrwall spielt die zentrale Rolle beim Überleben der Pulpa. Man sollte ihn beim Bohren nicht verletzen und nicht chemisch stören. Doch kennt man ihn kaum. Wie sieht er aus, wo ist er genau, was tut er, und wie entsteht er?
In den Lehrbüchern und im Google fehlt der Begriff "Abwehrwall".
Ich habe das Wort erstmals im Sommer 2015 von Prof. Dr. sc. nat. Dieter Bosshardt gehört
(Universität Bern, Klinik für Parodontologie, Freiburgstrasse 7, CH-3010 Bern, Tel +41 31 632-2589, Fax +41 31 632-4915,
Email <dieter.bosshardt@zmk.unibe.ch> ).
Er leitet das Robert K. Schenk Labor für orale Strukturbiologie in Bern und hat dort die hier abgebildeten histologischen Schnitte gemacht und analysiert.
Mit dieser Seite möchte ich meine Kollegen dazu ermutigen, bei einer akuten Pulpitis die Pulpa zu retten und sie nicht gleich zu exstirpieren.
Ob eine Pulpitis reversibel ist oder nicht, erkennt man am besten an der Pulpablutung. Sie kann erst diagnostiziert werden, nachdem man das Tertiärdentin von der Karies befreit hat.
Nach der Exkavation geht es rasch weiter. Es braucht nämlich kein Desinfektionsmittel, kein Calzium, kein MTA und keine Wartezeit, bis der Zement hart ist. Nach der Exkavation heilt die Pulpa von selbst. Die eröffnete Stelle darf mit einem gängigen Adhäsivmittel beträufelt und mit einem flowable Komposit überkappt werden.
Direkte Überkappungen werden nur selten durchgeführt. Wahrscheinlich ist die Exkavation für viele zu schwierig und zu zeitraubend. Ich überkappe etwa drei mal so oft wie dass ich vitale Pulpen exstirpiere und kann so sehr viele Pulpen retten.
Anzahl | Verhältnis | |
---|---|---|
Vitalexstirpationen | 73 | 1 |
direkte Überkappungen | 237 | 3 |
Mortalexstirpationen | 390 | 5 |
Diese Pulpa schmerzte schon lange immer wieder. Die rote Farbe stammt vom Abwehrwall und schimmert durch das Tertiärdentin hindurch, welches mitten in der Karies hart geblieben ist.
Die Exkavation dauerte etwa 15 Minuten und war ohne Anästhesie gut erträglich. Der Bohrer hat das Tertiärdentin an drei Orten minimal verletzt, was jedesmal kurz schmerzte und wonach jedesmal eine Sekunde lang etwas Feuchtigkeit aus der Pulpa austrat.
Schmerzen, Rötung und austretende Feuchtigkeit sind abgestimmte Antworten auf die Reize (Aktivitätsphase des Biofilms, Säurepufferung des Abwehrwalls, Verletzung des Tertiärdentins) und bedeuten keinesfalls, dass die Pulpitis irreversibes geworden ist.
Modifizierte Abb. 7/6 aus Hubert E. Schroeder: Pathobiologie oraler Strukturen, 3. Aufl., Karger, 1997
Karies besteht aus den Zonen 7, 6, 5 und 3. Das ist totes Dentin und kann man schmerzfrei entfernen.
Der Speichel gelangt durch die Kavitation tief ins Dentin. Er übt einen osmotischen Druck auf die Odontoblasten aus, welche jeweils unter Zahnschmerzen aufgebläht werden und zu grossen Blasen konfluieren. Die Osmose transportiert einige Bakterien in die Blasen. Dort vermehren sie sich zu kugelförmigen Kolonien und locken Abwehrzellen an. Letztere vermehren sich ebenfalls und phagozytieren die Kolonien. Wird der Biofilm entfernt, so ist die Pulpitis reversibel.
Der Innendruck der Pulpa bewirkt, dass bei einer Pulpaeröffnung vielfach mit einiger Verzögerung ganz kurz etwas Feuchtigkeit oder Blut austritt.
Erst wenn das Tertiärdentin weich wird, können zu viele Bakterien eindringen und den Abwehrwall überwinden. Sie gelangen in die Zone der Blutgefässe und werden dann rasch in der ganze Pulpa verteilt. Sie stirbt unter grössten Schmerzen innert wenigen Stunden.
Die Bilder dieser Seite zeigen schmerzende Weisheitszähne mit tiefer Karies.
Hämatoxylin (blau) | Eosin (rot) |
---|---|
Zellkerne, Knorpel | Zytoplasma, Erythrocyten |
Kollagenfasern, Muskeln | |
elast. Fasern |
Toluidin (blau) | Fuchsin (rot) |
---|---|
Zellkerne, Knorpel | Zytoplasma, Erythrocyten |
saure Gewebe | Kollagenfasern, Muskeln |
DNS, RNS | elast. Fasern |
unbehandelt
vital exkaviert, weisse Flecken
vital exkaviert, Syntac
devital exkaviert, Kerbe in Wurzel
vital exkaviert
vital exkaviert, Syntac
Zahn 38 mit dem Abwehrwall im Überblick
Bild 2 ist ein kleiner Ausschnitt einer stark erweiterten Blase der Odontoblastenschicht.
Die Blasen enthalten neben den Lymphocyten auch einige Erythrocyten. Diese Zellen schwimmen im Blutserum. Es tritt aus eröffnete Kapillaren aus, und der Blutdruck spannt die Blasen auf. Somit sind die Blasen direkt mit der Immunabwehr des Körpers verbunden.
Zahn 28. Eröffnung mit zwei weissen Flecken (Pfeile). Ist es Restkaries? Sie kleben fest an der Pulpa. Bei einem früheren Versuch, solche Flecken mit einer Pinzette abzureissen, lösten sie sich sehr schlecht und begann die Pulpa zu bluten.
Nach der Exkavation wurde der Zahn extrahiert und sofort in Formalin 4% eingelegt.
Bild | Inhalt |
---|---|
1 | Pulpaeröffnung, Dentininsel |
2 | Bakterien, Mitosen |
3 | Phagocytose |
4 | Viel Prädentin |
5 | Nerven und Gefässe |
Das Bild der Eröffnung hat zwei klinische Bedeutungen:
Massstab: Die Pulpa ist etwa 1 mm breit.
Diese beiden Bilder zeigen die Pulpa hinter dem Abwehrwall.
Die Bakterien gelangten etwa 1 mm tief in den Lymphozytenwall hinein. (Zum Vergleich: sie dringen auch in den Sulcus und in die Ausführgänge der kleinen Speicheldrüsen am Gaumen hinein!) Sie erscheinen als ein Haufen winziger roter Punkte. Alle Zellkerne rundherum erscheinen als Paare: sie teilen sich (Mitosen). Die Kolonie ist vielleicht nur wenige Tage alt.
Viele winzige rote Punkte in den Zellen drin. Das Areal ist etwas grösser wie die Kolonie links. Es könnte eine phagozytierte Kolonie sein.
Beachte: Nur gesunde Odontoblasten trotz tiefer Karies und reizarmem Exkavieren!
links: mitten unter der Karies
rot: Dentin
hellblau: unmineralisiertes Prädentin
dunkelblau: Zellkerne der Odontoblasten
rechts: neben der Karies:
Die hellblaue Schicht des Prädentins ist ganz dünn.
Direkt unter dem Zentrum der Karies bildet der Abwehrwall viel Prädentin, ein dichtes Gefässnetz und zahlreiche Neuronenbündel.
Abwehrwall im Überblick
Detail der Schicht der Nerven und Gefässe
Zahn 48. Pfeil = Stelle der Pulpaeröffnung
Nach der Exkavation wurde
Die histolog. Auswertung durch Prof. Dr. Dieter D. Bosshardt erfolgte am 27.4.2017
(LRW, Toluidinblau-Fuchsin)
(Paraffin, Hämatoxylin-Eosin
Die Sonde stach etwa 0.5 mm tief in die Pulpa. Sie hat nicht geblutet.
Trotzdem ist auf dem Bild eine beträchtliche Verletzung sichtbar:
- Das hauchdünne Tertiärdentin wurde eingedrückt,
- die Odontoblastenreihe wurde zerrissen, und
- fast wäre ein Blutgefäss verletzt worden.
Daraus kann man schliessen:
Neben der Eröffnungsstelle ist das Dentin etwa 10µm dick. Es ist Tertiärdentin mit sklerosierten Dentintubuli.
Die braune Haut auf dem Dentin ist etwa 3µm dick. Das könnte Syntac sein.
Die Karies hat durch das Tertiärdentin hindurch Blasen zwischen den Odontoblasten verursacht.
Eine Blase enthält Erythrocyten (ERY). Sie stammen aus einem geplatzten Gefäss.
Die Blase ist wahrscheinlich voll von Serum. Vergrössert das austretende Serum die Blasen?
Das Syntac wurde nach dem Stich auf die Pulpa getröpfelt. Offenbar hat es das ganze Dentin wie eine Haut abgedeckt, aber in der verletzten Pulpa ist es nicht zu erkennen.
Neben den Blasen im Odontoblastensaum bilden sich mehr Kapillaren und Neuronenbündel in und unter der bipolaren Zone.
Zahn 28
Ich hab den Zahn nach der Extraktion sofort ins Wasser gelegt, dann den Patienten fertig versorgt.
Nach etwa 15 Minuten nahm ich den Zahn wieder aus dem Wasser heraus
und hab die Karies grosso modo (= ohne epipulpale Exkavation) exkaviert bis zur Pulpa. Sie ist rot und hätte sicher geblutet.
Dann hab ich eine breite Kerbe in der Wurzelmitte bis zur Pulpa mit einem Diamanten und Wasserkühlung ausgeschliffen.
Dort ist die Pulpa weiss.
Der breite Schnitt nimmt viel Material und hat eine bessere Wasserkühlung beim Bohren als ein schmaler Schnitt.
Es ist viel Tertiärdentin entstanden.
Die Odontoblasten haben sich ausnahmslos zu Blasen umgeformt.
In diesem Teil des Zahnes sind mehrere Befunde vorhanden, die nicht wegen der Karies entstanden sind, sondern eher iatrogen beim Anschleifen der Wurzel.
Einzelne Dentintubuli sind voll von Bakterien.
Im Gegensatz zu den obigen Fällen habe ich bei diesem Fall nicht alle Karies exkaviert.
Das abgebildete Dentin mit den vielen Bakterien in den Dentintubuli ist also kariös.
Gemäss dieser Erfahrung überleben Pulpen mit guter Exkavation deutlich besser als mit "normaler" Exkavation.
Das heisst, dass die Desinfektionsmittel die hier abgebildeten, in den Dentinkanälen verbleibenden Bakterien nicht gut erreichen.
Sie können sich immer noch vermehren und bringen die Pulpa innert Tagen, Wochen oder Monaten zum Absterben.
Das Tertiärdentin enthält nur wenige Tubuli und Bakterien.
In der Pulpa sind ebenfalls nur wenige Bakterien zu sehen.
2 mm unter der Schmelz-Zement-Grenze, also nahe bei Wurzelmitte, wo die Kerve ins Dentin eingeschliffen worden ist, sind an einer Stelle viele Odontoblasten in die Dentinkanälchen hineingedrückt worden. Wie kann der Diamantschleifer (400'000 rpm, wassergekült, ca. 100 g Anpressdruck) einen Druck im Dentin verursachen, der die Odontoblasten tief in die Dentinkanäle hineindrückt?
Mögliche Erklärung:
Bekanntlich werden die Tubuli beim Präparieren mit einem smear layer verschlossen.
Der Verschluss ist jedoch weniger dicht als normal.
Der Gewebedruck der Pulpa (10 mm Hg) verursacht nun eine Fluidströmung durch die Tubuli nach aussen, bei welcher die Odonotblasten langsame in die Tubuli hinein gedrückt werden.
Der erhitzte Liquor in den Tubuli hat zahlreiche Odontoblasten platzen lassen und Blasen verursacht. Weshalb sind in den Blutgefässen seltsame Strukturen entstanden?
Mögliche Erklärung:
Die Präpration hat einen Druckabfall im Gewebe der Pulpa verursacht.
Möglicherweise sind deswegen in den Blutgefässen einige Erythrocyten geplatzt.
In der Nähe der Wurzelmitte, wo die Wurzelpulpa eröffnet worden ist, sind viele Odontoblasten verschwunden. Ist das ein Hitzeschaden?.
Mögliche Erklärung:
Beim Präparieren mit Diamant und Wasserspray steigt die Temperatur der Pulpa proportional zur
- Präparationsdauer,
- Anpresskraft,
- Grösse des Diamantkorns, und
- Dicke des verbleibenden Dentins.
Beim direkten Kontakt des Bohrers mit der Pulpa ist die Kühlwirkung des Wassersprays unwirksam (wie wenn der Bohrer die Gingiva streift). Bei einer Car. prof. ist das verbleibende Dentin nur ½ mm dick oder dünner, sodass ebenfalls kein thermischer Schutz resultiert. Damit wird der Hitzeschaden zu einer der einfachsten Erklärungen.
Somit sind bei der Eröffnung der Pulpa in der Wurzelmitte drei Präparationsschäden: entstanden:
Zahn 48
Der Patient ist Raucher, hat viel Zahnstein und eine generelle fortgeschrittenen Parodontitis. Der Zahn 48 war sehr locker und schmerzte.
Schwarzer Zahnstein befindet sich am linken und rechten Rand der Karies.
Die Absicht war, an diesem Zahn noch einmal alle bisher gefunden Phänomene des Abwehrwalles zu bestätigen:
Überraschenderweise fanden sich aber wieder neue Phänomene.
Eine solche Pulpitis ist sehr wahrscheinlich irreversibel. Die klinischen Zeichen waren:
Bild: 16_088_B2_00_0016125
Färbung: Toluidinblau-Fuchsin
Einbettung: LRW
Zahn 18
Nach der Anästhesie habe ich den Zahn zuerst exkaviert, dann mit Syntac Primer und Syntac Adhesiv beträufelt und dann innert einer Minute extrahiert und in 4% Formalin eingelegt. Zur Vorsicht schliff ich diesmal keine Kerbe mehr.
Das Ziel ist, wieder einen Abwehrwall vorzufinden und keine weiteren neuen Befunde, damit es dann die letzte Histologie wäre. Insbesondere soll klar werden, ob die Blasen ein Artefakt sind und das Syntac wieder als graue Schicht über dem Dentin sichtbar ist wie hier.
Syntac ist die dünne graue Schicht zuoberst auf dem Schnittbild. Sie ist etwa 2 µ dick und klebt lückenlos auf den angeschnittenene Dentintubuli, welche ebenfalls etwa 2 µ dick sind. Die Gleichmässigkeit der Syntac-Schicht ist erstaunlich. Sie ist ein perfekter Verschluss der angeschnittenen Dentintubuli und betroffenen Odontoblasten.
1: Dentintubuli
2: Dentin-Neubildung
3: Odontoblasten
4: Pulpa
In der ganzen Pulpa hat es nirgends Bakterien!
1: Dentin
2a: Tertiärdentin, äusserste Schicht
2b: Tertiärdentin, innerste Schicht
(das ganze Schicht ist so breit wie das Bild)
3: Odontoblasten
4: Pulpa
2b: Tertiärdentin, innerste Schicht
2c: blasig aufgedunsene Dentintubuli und verformtes Dentin (es ist durch Säuren erweicht)
3: Odontoblasten
3a: aufgeblasene Odontoblasten (sie saugen Wasser von der feuchten Karies auf)
3b: Blase (= vereinigte Odontoblasten)
3c: Erythrocyten in einer Blase
4: Pulpa
2b: Tertiärdentin, innerste Schicht, Wände ganz aufgelöst
3: Odontoblasten, zerdrückt
3b: Blase
4a: Blutgefäss, Zeichen des Abwehrwalles