W. Weilenmann
Dr. med. dent.
Walter Weilenmann
eidg. dipl. Zahnarzt
dipl. Natw. ETH

Mitglied SSO, SSGS
und SSO-Zürich.

Versprödung des Zahnes

Wurzelbehandelte Zähne zerbrechen oft. Weshalb? Und was kann man dagegen tun?
  • Verlust an Festigkeit: Die wurzelbehandelten Zähne haben häufig eine tiefe Karies gehabt. Deshalb verbleiben oft nur dünne Höckerwände. Zudem muss der Zahnarzt noch tiefer bohren, um die Pulpakammer und die Wurzelkanäle zu öffnen und zu "erweitern" (= aushöhlen) um die Bakterien zu entfernen.
    Zuletzt sollte möglichst der ganze Hohlraum adhäsiv gefüllt werden.
  • Mechanische Überlastung: Dünne Wände brechen natürlich rascher als dicke. Ein starker Knirscher kann mit seiner Kaukraft sogar einen vitalen Zahn zerbrechen.
    Die Höcker sollten gekürzt und überdeckt oder die Höckerabhänge entlastet werden.
  • Chemische Versprödung: Der Zahn bleibt gleich feucht, aber der Ionenfluss kehrt um. In der Pulpa herrscht stets ein kleiner Überdruck (Blutddruck), der das Dentin von innen nach aussen erneuert. Ohne Pulpa und ohne den Füssigkeitsdruck nach aussen dringen Fremdionen ein, welche den Zahn abdunkeln und sogar schwarz verfärben - und bestimmt auch die Elastizität des Kollagens und die Festigkeit des Apatits im Dentin schwächen.
    Das kann man (noch?) nicht verhindern.

Wie viele wurzelbehandelte Zähne zerbrechen? Jeder Behandler hat eine eigene Erfolgsrate. In der Medizin wird diese aber oft nicht erhoben oder kommuniziert. Denn der Behandler ist nur ein Erfolgsfaktor von mehreren anderen. Insgesamt zählt man sechs mal mehr Frakturen bei den Zähnen mit Wurzelbehandlung als bei jenen mit lebender Pulpa.
Wie viele Jahre hält ein wurzelbehandelter Zahn? Darüber gibt es mehr emotionale Meinungen und Vorurteile (wie zum Beispiel: "jeder wurzelbehandelte Zahn ist ein möglicher Streuherd") als harte Fakten (wie eine langjährige Statistik).

Nachfolgend werden diese Fragen aus meiner Erfahrung beantwortet.


Statistik der Extraktionen
Seit 2012 betreffen die meisten Extraktionen (fast 500) die parodontal gelockerten Zähne.
Hingegen musste ich "nur" 120 zerbrochene wurzelbehandelte Zähne extrahieren.

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Paro = gelockerter Zahn

Karies = so tiefe Karies, dass der Zahn nicht repariert werden kann.

Platzmangel = das sind meistens die Weisheitszähne

Fraktur = meistens wurzelbehandelte Zähne

Granulom = grosse, schmerzhafte Entzündung im Knochen, meistens wegen einer tiefen Karies, und wo eine Wurzelbehandlung nicht sinnvoll, nicht möglich oder nicht erwünscht ist.


Klassischer Fall
Dieser Patient hat seinen Zahn so lange als nur möglich verteidigt. Von der Wurzelfüllung bis zur Wurzelfraktur vergingen 12 Jahre. Von da an bis zur mehrfachen Wurzelfraktur und Extraktion vergingen nochmals 5 Jahre. In der meisten Zeit war der Zahn symptomlos und konnte der Patient mit ihm normal kauen.
Es scheint, dass die erste Fraktur nach 12 Jahren sichtbar geworden ist, und dass in den folgenden fünf Jahren immer mehr zusätzliche Frakturen entstanden sind.

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05.10.2005
29.09.2016
16.08.2017
19.06.2020
22.09.2022

Versprödung nach Wurzelbehandlung

WB

27.09.2005: Zahnschmerzen bei -7 mit zwei tiefen Füllungen a.l. Wurzelbehandlung mit Einlage (Ledermix). Die Wurzelspitzen sind obliteriert.
05.10.2005: Ausschnitt aus einem Bitewing
20.12.2005: Wurzelfüllung (AH Plus und Gutta). Füllung mit Tetric.


Flg

10.01.2012: Ecke abgebrochen. Neue, grössere Füllung (Tetric).
Der Zahn fühlt sich normal an und ist schmerzfrei.


Revision

29.09.2016: Es hat sich eine Fistel gebildet und der Zahn fühlt sich komisch an. Das Röntgenbild zeigt ein Granulom an der mesialen Wurzelspitze. Revision der mesialen Wurzel mit Ledermix.
06.12.2016: Fistel verschwunden, aber die linguale Höckerwand ist abgebrochen. Die mesiale Wurzel­spitze war nicht auffindbar. Zwei Perforationen nach distal-interradikulär mit Tetric-Flow verschlossen, Wurzelfüllung mit AH plus, neuer Aufbau mit Tetric.


Fraktur

16.08.2017: Kauschmerz, spora­dische Schwellung, 1 cm tiefe Tasche interradikulär, Zahnbeweg­lichkeit 2. Das Röntgenbild zeigt zwei Granulome, einen interradiku­lären Knochenschwund und eine Wurzellängsfraktur. Zahn einge­schliffen und Curaprox-Bürsteli abgegeben.
29.08.2017 -7 ist schmerzfrei, Zahnbeweglichkeit = 1, Gingiva fest. Der Patient möchte abwarten.


Ex

19.06.2020 -7 ist lingual und bukkal frakturiert. Reparatur mit Tetric a.W.d.P.
22.09.2022 Letzte Höckerwand abgebrochen, mehrere Wurzel­frakturen werden sichtbar.
Extraktion in 12 Teilen.


Lebensdauer der wurzelbehandelten Zähne

Die Statistik meiner Praxis zeigt, dass nach 35 Jahren noch gut 60% der wurzelbehandelten Zähne normal funktionieren. Die Verlustrate betrug etwa 14±6% pro 10 Jahre.

    In den ersten zehn Jahren gingen etwa 13% der wurzelbehandelten Zähne verloren.
  • In den folgenden zehn Jahren gingen 21% verloren. Das war eine deutliche Verschlechterung.
  • In den folgenden zehn Jahren gingen nur 8% verloren. Das war eine deutliche Verbesserung.
  • Und nach 30 Jahren scheint die Verlustrate bei etwa 13% pro 10 Jahre zu liegen.
Bei den Survival-Kurven wird ein Zahn nicht mehr gezählt, wenn ein Patient nicht mehr erscheint. Und umgekehrt wird ein Zahn stets bei Jahr "0" gezählt, auch wenn er erst gestern wurzelbehandelt worden ist. Deshalb nimmt die Zahl der erfassten Zähne von anfangs 2957 auf 367 nach 30 Jahren ab.

Die Wurzelbehandlung verlängert das Leben eines geschädigten Zahnes. Sie ist aber keine Heilung und keine Rückkehr zur ursprünglichen Stärke des Zahnes.

Lebensdauer Details siehe auch hier: Lebensdauer der wurzelbehandelten Zähne
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erstellt: 23.09.2022 - 16.11.2024